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F I 4/13a "7"

Transcription

Es muss also Natur vor aller Theorie, vor aller mittelbaren Erkenntnis uns als seiende Wirklichkeit in unmittelbarer Weise gegeben sein, und alle mittelbare Feststellung muss aus der unmittelbaren schöpfen. Unmittelbare Gegebenheit von seiender Natur ist aber sinnliche Wahrnehmung, die Ur-Form der Erfahrung. Auf Erfahrung zurückgehen, die Erfahrung befragen und zur Richterin nehmen, das heißt also nichts anderes, als nicht von oben her, aus Vorurteilen, aus vagen Meinungen, aus unbesehenen Traditionen über die reale Wirklichkeit sprechen, sondern sie sich selbst ansehen, die in der Wahrnehmung und den weiteren Stufen der Erfahrung sich selbst bekundende, selbst und leibhaft bewusst werdende Natur uns Rede stehen lassen und nach Methoden, die sie uns hier quellenmäßig und einsichtig an die Hand gibt, vom unmittelbar Erfahrenen auf das nicht Erfahrene schließen.

Nun genau das gilt offenbar für alle wahrhaft seienden Gegenständlichkeiten, also auch für die etwa anzunehmenden Gegenständlichkeiten, die nicht Realität sind. Der Streit, ob es solche gibt oder nicht gibt, kann nicht durch Vorurteile, sondern nur dadurch entschieden werden, dass wir das sie unmittelbar gebende Bewusstsein als solches aufweisen und gelten lassen in der Autorität, die ihm, die jedem unmittelbar gebenden Erleben eo ipso zukommt, aber auch nur insoweit zukommt, als es in der Tat gebendes ist. Auch Erfahrung kann skeptisch [als] Naivität erscheinen. Solange sich die Menschheit durch die skeptischen Angriffe bestimmen ließ, konnte es keine Naturwissenschaft geben, oder die Anfänge der schon entwickelten Naturwissenschaft konnten keine Geltung erlangen. Die freie Entwicklung der Naturwissenschaft war erst möglich, nachdem allgemein die Skepsis an der Möglichkeit und am Recht der Erfahrung beiseite getan wurde. Ebenso kann es nun eine Ideenwissenschaft nicht geben, kann Ideenwissenschaft mindestens sich nicht in voller Freiheit entfalten, solange man den Ideen gebenden Akt, das erschauende Bewusstsein nicht in seinem Eigenrecht gelten lassen will und in vollem Umfang gelten lassen will. Hat Erfahrung überhaupt recht, so hat sie überall recht; hat Erschauung überhaupt recht, so hat sie überall recht. Der Rechtsgrund liegt nicht an der Besonderheit der erfahrenen bzw. erschauten Sachen.

Transcriber

Thomas Vongehr