Manuscript page

F I 4/14a "8"

Transcription

von je zwei Tönen in dieser Reihe einer der tiefere, der andere der höhere, von je dreien einer der mittlere [sei], der spricht nicht von wirklich erfahrenen, in der Wirklichkeit seienden Tönen, sondern von Tönen als Ideen, die sich in wirklich gehörten, aber nicht minder in beliebigen zu fingierenden Tönen bloß exemplifizieren.

Vielleicht [1] sagt man, Tonideen seien nichts anderes als aus konkret erlebten Tönen herausgehobene „abstrakte Momente“, und das konkrete Erleben könne einmal ein normales Empfinden sein, auf äußeren Reizen beruhend, oder ein Phantasieren, auf reproduktiven Nachwirkungen früherer Empfindungen beruhend; seinen unmittelbaren psychophysischen Ursachen nach anders gestellt, aber in sich, deskriptiv, nicht wesentlich unterschieden von Empfindungen, abgesehen von Unterschieden der Lebendigkeit, Deutlichkeit usw. Aber wer so redet, verfehlt den ganzen Sinn der dargebotenen Unterscheidungen und verliert sich zudem in verkehrten Missdeutungen. Sehe und höre ich einen Flötenspieler, so sehe ich ein Ding, einen so und so begriffenen Menschen, der dort an dieser Raumstelle steht; ich sehe auch seine Flöte und ich höre Töne als aus dieser Flöte hervorquellend. Das „sehe und höre“ ich, mit einem Wort, das ist mir in unmittelbarer Erfahrung gegeben. Hat es einen rechten Sinn zu sagen, aus dem objektiven erfahrenen Ton, diesem räumlich seienden, hebe ich ein Bestandstück, ein abstraktes Moment heraus, und das sei die Idee Ton? Der Ton c als Idee, die der eine und einzige ist in der Tonleiter, ist doch nicht ein Stück dieses Flötentones, welcher ja mit allen seinen Momenten entsteht und vergeht, jetzt anklingt und alsbald verklingt, und wenn er verklungen ist, eben nicht mehr ist, sondern bloß war, und wenn er nie verklungen wäre, nie gewesen wäre. Der Ton der Tonleiter aber entsteht nicht und vergeht nicht, die Tonleiter hat nicht zeitweilig ein Loch, eine Lücke, wenn zufällig niemand da ist, der das c spielt.


[1] Beginn einer neuen Vorlesungsstunde (Mittwoch, 8. Mai 1912).

Transcriber

Thomas Vongehr