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F I 4/14b "8"

Transcription

Und fingieren wir jetzt einen flötenspielenden Zentauren, so ist auch das ein Raumding, nur ein fingiertes, und aus der fingierten Flöte entströmt als Fiktion der Flötenton, in den fingierten Raum hinausströmend. So wenig der Zentaur ist, ist der von ihm geblasene Ton; er ist ein frei Fingiertes. Also ist es nicht etwa ein psychisches Datum, ein psychischer „Inhalt“. Ebenso wenig als der phantasierte Zentaur ein Bestandstück des phantasierenden Erlebens ist, ebenso wenig der phantasierte Ton. Was soll das heißen, dass ich aus ihm, der nichts ist, ein „Moment herausnehme“ und das sei die Idee? Auch das Moment ist fingiertes Moment und hat seine fingierte Zeit wie seinen fingierten Ort. Die Idee aber ist weder etwas wirklich Reales noch etwas fingiert Reales; sie hat ihre Wirklichkeit, aber eben als Idee. Dass wir kein Phantasie-Bewusstsein hätten, wenn wir nicht vordem ein Wahrnehmungsbewusstsein gehabt, dass wir Töne nicht fingieren könnten, wenn wir Töne nicht wirklich gehört hätten, mag eine psychologische Wahrheit sein, ebenso wie es eine Wahrheit ist, dass wir keine Zentaur-Phantasien hätten, wenn wir nicht vorher Menschen- und Pferdewahrnehmungen gehabt hätten, und so irgendwelche Dingwahrnehmungen, aus denen sich die Phantasiegebilde ihrem dinglichen Inhalt nach zusammenbauen könnten. Aber was hat das hier zu sagen? Und können wir nicht ebenso gut wie die Idee eines Tones die Idee eines Menschen und so die eines Zentauren bilden? Und sollen wir sagen, diese Ideen seien Bestandstücke von Menschen bzw. von Zentauren? Aber hat das einen rechten Sinn?

Solche übrigens vielfältig gewendeten Verkehrtheiten, von denen die neuzeitliche Psychologie voll ist, haben ihre begreifliche Quelle darin, dass man die Wesenserschauung, die man tatsächlich beständig übt, in der psychologischen und erkenntnistheoretischen Reflexion nicht gelten lassen will. Man ist durch historische Motive innerlich bestimmt, Ideen als Gegenständlichkeiten nicht anzuerkennen; Ideen darf es also nicht geben, sie müssen also ein Psychologisches sein, denn was nicht physisch ist, ist eben, denkt man, Psychisches, was nicht objektiv draußen ist, das ist drinnen, drinnen in der Seele als psychisches Phänomen oder psychische Disposition.

Transcriber

Thomas Vongehr