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B II 19/10a "40"

Transcription

Ich [1] beginne heute damit, die Ausführungen der letzten Vorlesung ein wenig zu beschneiden. Ich habe insbesondere am Schluss der Vorlesung einiges gesagt, was für unsere Zwecke überflüssig ist und auch in der kurzen Darstellung nicht erweisbar und erwiesen ist. Zudem steht es im Gegensatz zu solchem, was ich in den letzten Jahren wiederholt vorgetragen habe.

Was wir brauchen, ist Folgendes: Ein materieller Körper ist ein Ding, eine Substanz. Darin liegt beschlossen, wie ich es ausführlich erörtert [habe] , es ist nicht bloß überhaupt Subjekt von Prädikaten, sondern eine Individualität, die identischer Träger von realen Eigenschaften ist, d.i. von dauernden Dispositionen, die in eigentümlicher, näher zu beschreibender Weise Titel für geregelte Gruppen wirklicher und möglicher Zuständlichkeiten und Verhaltungsweisen sind.

Materielle Körper sind erfahrungsmäßig öfter Leiber von Geistern. Auch Geister sind in einem dem Allgemeinsten nach analogen Sinn Substanzen. Nun zeigte die Wesensbetrachtung, dass, wenn wir den Substanzbegriff so weit fassen, Geist und Körper grundverschiedene Substanzen sind. Das Gemeinsame liegt in der bloßen leeren Form einer Einheit von realen Eigenschaften, bezogen auf empirisch geregelte Gruppen wirklicher und möglicher Zuständlichkeiten und Verhaltungsweisen. Aber dem materialen Wesen nach betrachtet, haben beiderlei Substanzen miteinander nichts gemein. Sie verhalten sich zueinander nicht wie zwei noch so weit voneinander abstehende Arten materieller Dinge oder zwei noch so weit abstehende Arten von Geistern. Sie sind durch eine unüberbrückbare Kluft getrennt, sie können sich zwar verbinden und sind verbunden in der Einheit des Zoon, aber eine verbundene Einheit besagt nicht


[1] Beginn einer neuen Vorlesungsstunde (Samstag, 15. Juni 1912).

Transcriber

Thomas Vongehr