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B II 19/27b "ad 50"

Transcription

Erfahrungsmäßig finden wir das Geistesleben vor, und zwar in innerer Erfahrung finden wir uns vor als wahrnehmend, phantasierend, urteilend usw.; und alle diese Artungen von Erlebnissen zu beschreiben, so wie sie wirklich in der Erfahrung vorkommen, ist eine selbstverständliche Aufgabe. Sofern sich nun die Phänomenologie als Wissenschaft vom reduzierten Bewusstsein mit all diesen Arten auch beschäftigt, ist ihre innige Beziehung zur deskriptiven Psychologie zutage liegend. Nur dass es [sich] eben auf der einen Seite um Forschung innerhalb der Reduktion handelt, bei der die gesamte reale Welt urteilsmäßig außer Setzung verbleibt, während das Gegenteil auf psychologischer Seite der Fall ist. Die Beziehung geht so weit, dass man sagen kann, dass jede Feststellung der Phänomenologie und insbesondere der phänomenologischen Wesenslehre, die wir noch näher definieren werden, für die Psychologie von Bedeutung ist, und dass überhaupt die Ausbildung einer reinen Phänomenologie eine grundlegende Bedeutung für eine wissenschaftliche empirische Psychologie beanspruchen muss. Andererseits aber kann man eine reine Phänomenologie keineswegs um dessentwillen als bloßes unteres Stockwerk der Psychologie ansehen. Es stellt sich vielmehr heraus, dass sie in ihrem Sinn und ihren Leistungen über alle Psychologie weit hinausreicht, sofern sie die Urquelle und Urdomäne aller echten Vernunftkritik und Metaphysik ist, und das ist eben vermöge der phänomenologischen Reduktion. Aber das kann hier noch nicht verständlich werden. Hier genügt es, bloß den radikalen Differenzpunkt damit zu bezeichnen, dass eben Psychologie Realitätswissenschaft, wie man auch sagt Naturwissenschaft ist. Die Phänomenologie aber nicht. [1]


[1] Randbemerkung: Bis hier Einlage.

Transcriber

Thomas Vongehr