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B II 19/38a "62" "38"
Transcription
Die [1] Auseinandersetzung mit Descartes galt uns als ein Leitfaden, um wichtige Charakterzüge der phänomenologischen Einstellung und ihrer Gegebenheiten zu erläutern.
Gestrichen: Stellen wir uns auf den Boden der cartesianischen Intention auf absolute Erkenntnis, so sehen wir uns dann folgerichtig zur phänomenologischen Reduktion genötigt. Dann erhebt sich die Frage: Wird die Situation dadurch nicht hoffnungslos? Ist die Möglichkeit der Erkenntnis von Realität, die als solche Bewusstsein transzendiert, [nicht] rätselhaft und fordert die Lösung des Rätsels [nicht] , Realität überhaupt in Frage zu stellen, also sich auf die Immanenz des reinen Bewusstseins zurückzuziehen? Ist dann nicht jedes Überschreiten des Bewusstseins verwehrt, also die Antwort auf die Frage nach der Möglichkeit der Erkenntnis unmöglich? Ende der gestrichenen Stelle
Im Zusammenhang solcher Auseinandersetzung machten wir uns klar, dass Reduktion auf das reine Bewusstsein nicht Ausschluss von Realität überhaupt und in jedem Sinn besagt, sofern es eben zum eigenen Wesen des Bewusstseins gehört und darunter auch des erkennenden Bewusstseins, Bewusstsein von etwas zu sein, also des Realitätsbewusstseins, Bewusstsein von Realem [zu sein] . Damit eröffnet sich die Möglichkeit, das Wesen der Beziehung, die Bewusstsein auf Bewusstes und speziell auf Reales hat, zu studieren und in einer Weise zu studieren, die nicht im Voraus irgendwelche Kenntnis von Realem, nicht einmal das Sein von Realem benützt. Realwissenschaft vollzieht Realitätssetzung im ersten Schritt und so in jedem Schritt. Ihr ist Realität als daseiende durch Erfahrung gegeben, und auf die so gegebene Realität beziehen sich all die bestimmenden Urteile. Andererseits, phänomenologische Wissenschaft vollzieht keine Realitätssetzung, und wo Bewusstsein von Realität und direkter Realitätssetzung von ihr studiert wird, stellt sie sich nicht auf deren Boden, sie macht die Setzung nicht mit, sondern sieht sie sich an und fragt, was in ihrem Sinn liegt und was im Sinn des Realen liegt, so wie es in dieser Setzung Gesetztes, so wie es in der Wahrnehmung Wahrgenommenes, im Anschauen Angeschautes, im denkenden Erkennen Erkanntes ist. Das Reale ist hier nicht
[1] Wohl Beginn einer neuen Vorlesungsstunde (Mittwoch, 3. Juli 1912).
Transcriber
Thomas Vongehr