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B II 19/40a "64" "40"
Transcription
Übrigens: Lassen wir uns von erkenntnistheoretischen Bedürfnissen zur Einsicht in die Notwendigkeit einer Phänomenologie hinleiten, so werden die Probleme der Möglichkeit einer Realitätserkenntnis zwar die nächstliegenden sein; aber man sieht bald, dass sie nicht die einzigen sind und nicht die einzigen, die eine Phänomenologie fordern. In der Tat ist die Transzendenz der Realität nicht die einzige Transzendenz gegenüber dem Bewusstsein. Und sollten nicht auch andere Gegenständlichkeiten, auch nicht-reale, hinsichtlich der Möglichkeit ihrer Erkenntnis Schwierigkeiten mit sich führen? Nämlich Schwierigkeiten analoger Art, wie sie Realitätserkenntnisse mit sich führen? Wenn das der Fall ist, muss auch in Bezug auf diese Gegenständlichkeiten und ihre Setzung Reduktion geübt und das Bewusstsein, das sie setzt und erkennt, in phänomenologischer Art zum Thema gemacht werden.
In der Tat ist es klar, nun nachdem wir den Boden der Phänomenologie schon gewonnen haben, dass jedes Bewusstsein, in phänomenologischer Reinheit gefasst, zu ihm gehört und dass ebenso in Hinsicht auf jedwede mögliche Gegenständlichkeit die phänomenologische Einklammerung vollzogen werden kann. Was irgend von einer Gegenständlichkeit aussagbar ist, bloß sofern sie als Korrelat des Bewusstseins von ihr betrachtet wird, also nicht thetisch und naiv gesetzt wird, und was vom Bewusstsein andererseits, sofern es Bewusstsein von ihr ist, ausgesagt werden kann, das gehört zur Phänomenologie. Das gilt allgemein, und nur wo die Thesis des Bewusstseins die Thesis des in ihr Bewussten mitumschließt, sofern die Gegenständlichkeit im Bewusstsein „reell enthalten“, sofern die Bewusstseinssetzung ohne Mitsetzung der Gegenständlichkeit unmöglich ist, werden wir in der Phänomenologie Gegenstandssetzung nicht los. Das Infragestellen macht zwar den Anfang, aber bei Rückgang auf das Bewusstsein und seine reine Setzung ist alles reell Enthaltene wieder mitgesetzt. Die Gegenständlichkeiten sind dann eben immanente, selbst zum Boden der Phänomenologie gehörige. Wo sie es aber nicht sind, wie z.B. wenn wir von der Anzahlenreihe als einer unendlichen Reihe idealer Gegenständlichkeiten sprechen, da haben wir natürlich genau wie im Fall realer Gegenständlichkeiten
Transcriber
Thomas Vongehr