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A IV 5/84b "83"

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und all die Bestimmungen, die er da gibt, haben notwendig etwas Fließendes, Ungefähres. Sie haben keinen absolut scharf zu begrenzenden Umfang. Wir stellen etwa gegenüber den Begriff der Färbung mit allen ihm untergeordneten näheren Bestimmungen: rot, blau usw., noch näher: krapprot, veilchenblau usw., und geometrische Begriffe wie Gerade, Kreis, Dreieck usw. Oder noch besser: Wir stellen gegenüber die morphologischen, der unmittelbaren Anschauung entnommenen Begriffe von Raumgestalten, von Punkt, Linie, Oberfläche, Körper, von gerade und krumm, von kreisförmig, eiförmig, klappenförmig usw., und andererseits die eventuell gleich bezeichneten geometrischen Begriffe und Größenbegriffe überhaupt.

Humes skeptische Einwände gegen die Geometrie im Treatise beruhen wesentlich darauf, dass er die sinnlichen Begriffe und die geometrischen Idealbegriffe nicht unterscheiden will, dass er von dem Vorurteil ausgeht, dass die Geometrie nur die Wissenschaft der sinnlich erscheinenden Raumgestalten sei bzw. nur das sein könne (dass ihm Punkt das ist, woran wir keine Länge, Breite und Tiefe mehr unterscheiden, Linie das, woran wir keine Breite und Dicke unterscheiden bzw. als zu geringfügig nicht in Betracht ziehen etc.). Die rein geometrischen Begriffe gelten ihm [als] Fiktionen; und so sagt er sich, eine Wissenschaft kann doch nicht Wissenschaft von Fiktionen sein, es kann nur so sein, dass wir der Bequemlichkeit halber, der Abkürzung der Rede willen, den wahren geometrischen Begriffen Fiktionen zugrunde legen usw.

Wir werden uns von den Vorurteilen des humeschen Sensualismus nicht irreleiten lassen. Es ist evident, dass die Geometrie nicht von einem minimum sensibile spricht, wenn sie Punkt sagt, dass sie überhaupt nicht über sensibilia redet, sondern eben von ihren „reinen“ Punkten, „reinen“ Geraden, reinen Flächen und Körpern, und dass diese Reinheit durchaus dem kantischen Begriff von Idee als einer idealen und evident zu erfassenden Grenze entspricht.

Transcriber

Thomas Vongehr